Nehmen wir die Stoiker, die mit Affekten umgehen, indem sie zeigen, dass sie für den Weisen unwürdig sind, die Ablenkung empfehlen, oder auch: Umgang durch Beseitigung. Ich führe den Beweis, dass die Affekte gar nicht existieren, und wenn, dann aufgrund von falschen Voraussetzungen. Nun schreiben die Stoiker für ihresgleichen. Und Seneca war sicherlich kein armer Mann, sondern einer der reichsten Männer im römischen Imperium. Als er daran scheiterte, Kaiser Nero die Vorteile der stabilen Genügsamkeit klarzumachen, vollzog er (ohne zu zögern, wie es heißt) die ihm befohlene Selbsttötung, wobei er allerdings drei Anläufe nehmen musste.
Seneca: Über die Wut, drittes Buch: „Was ordnest Du an? Wie sollen wir uns vor Augen führen, wie sehr doch all die Dinge, durch die wir verletzt zu werden glauben, winzig, jämmerlich und etwas für kleine Kinder sind? – Nun, ich persönlich würde vor allem dazu raten, seine Seele zu gewaltiger Größe zu entfalten und zu sehen, wie gewöhnlich und unbedeutend das ist, weswegen wir uns streiten und keuchend von einem Termin zum nächsten hetzen, und dass kein Mensch, der irgendetwas Erhabenes oder Großartiges im Sinn hat, auf so etwas einen Blick verschwenden sollte.
Um das Geld gibt es das meiste Geschrei. Geld lässt die Gerichte bis zur Erschöpfung tagen, lässt Väter und Söhne gegeneinander antreten, mischt tödliche Gifte und reicht das Schwert – Mördern genauso wie Legionen. Geld ist mit unserem Blut beschmiert. Seinetwegen sind die Nächte von Ehefrauen und Ehemännern erfüllt von Gekeife und Gezänk. Seinetwegen drängt sich die Menge um das Tribunal des richtenden Beamten. Seinetwegen veranstalten Könige brutale Raubzüge und werfen durch langer Jahrhunderte Mühen errichtete Staaten zu Boden, um in der Asche ihrer Städte nach Gold und Silber zu scharren.
Ich möchte die Geldsäcke betrachten, wie sie da in der Ecke liegen: Sie sind der Grund, dass gezetert wird, bis die Augen aus den Höhlen treten, dass in den großen Hallen das Gebrüll der Gerichtsparteien sich bricht, dass aus weit entfernten Landstrichen herbeizitierte Schöffen dasitzen müssen, um zu beurteilen, bei wem von beiden die Habgier gerechter ist.
Und wie ist es erst, wenn noch nicht einmal wegen eines Geldsacks, sondern wegen einer bloßen Handvoll Kleingeld oder eines Denars, den ein Sklave in Rechnung gestellt hat, einem Tattergreis ohne Erben vor Empörung die Galle platzt! Wie, wenn wegen des Zinseszins – und sei es nur ein Zehntel Prozent – ein Wucherer, der eigentlich ins Bett gehört und mit seinen gichtverkrümmten Füßen und Fingern nicht einmal mehr die Schuldsumme zusammenzählen kann, ein fürchterliches Geschrei erhebt und in einem Mahnverfahren, nach dem anderen – sich unter Anfällen windend – den Ansprich auf Zahlung seiner geliebten Pfennige geltend macht?
Einmal angenommen, du würdest alles Geld aus sämtlichen Bergwerken, die wir in diesem Moment in die Tiefe treiben, für mich hervorholen, angenommen, du würdest alles hier vor mir ausschütten, was die Schatzkammern verbergen, wohin Habgier wieder unter die Erde zurückschafft, was sie so unselig daraus hervorgewühlt hat, dieser ganze Haufen da wäre meiner Meinung nach nicht wert, die Stirn eines guten Mannes in Falten zu legen. Mit einem lauten Lachen sollten wir diese Dinge aus unseren Gedanken streichen, die uns so viele Tränen entlocken.“
(Übersetzt von Jula Wildberger)
Wem das Geld nicht notwendiges Lebensmittel ist, weil es ihm in ausreichender Menge zur Verfügung steht, kann es, wie Seneca als neurotische Substanz abqualifizieren, als Streitwert eines im Grunde unnötigen Streits. Doch behält es leider auch unter den Bedingungen des Mangels seine neurotische Qualität, ja steigert sie sogar, so dass dem Streit in diesem Fall keine Freiwilligkeit mehr zu unterstellen ist.