süß, getränke

„Wir sind gewiß in ein häßliches, schmerzhaftes, wüstes Labyrinth von Welt geboren worden, von Anfang an. (Keiner will das wahrhaben!)

(…)

Jetzte erzähle ich Dir eine lustige Angelegenheit, die mir eben, als ich Zigaretten holte und dabei gleichzeitig zwei Plastiktüten mit leeren Wein- und Bierflaschen umtauschte, passiert ist:

da ist ein Laden voller Rauschmittel,

Flaschen mit roter Rauschfüllung, weißer, grünlicher, süßer, herber, billiger, kalter, warmer zitronenhafter und parfumhafter Rauschmittel,

ein winziger Raum, der vollgestopft ist,

und wo ich immer meine Bierflaschen oder billigen Weinflaschen bisher gekauft hatte, nicht viele, so daß sich die Flaschen aber im Laufe der Zeit angesammelt hatten, und ich sie umtauschen wollte,

ein kleiner, etwas, nur leicht bleich aussehender älterer Mann hantiert darin in einem schwarzen Kittel (der eigentlich eher an einen Totengräber in dem Kittel erinnert, wozu die billigen Flaschen gar nicht passen wollen, und an der Wand versteckt hinter den Flaschen billige verblichene-bunte Heiligen- und Madonnenbilder, über dem Kühlschrank hängt sogar ein Bild mit blutendem Herzen, vor dem ein Lämpchen brennt, elektrisch, ist klar, – so leben Menschen im 20. Jahrhundert,

er hat mir sogar einen Flaschenöffner geschenkt,

Du kennst aber meine Wachsamkeit, ich bin so,

also zählte er durch und legte 500-Lire-Schein auf den Tisch, den ich mir ansah,

dann machte ich klar, ich wollte 5 Flaschen Bier haben plus 1 Flasche weißen Weins, für die nächsten Tage, die nächste Woche,

und jedesmal beim Einkauf fischt er sich einen Zettel und rechnet aus, was ich im Kopf mitmache,

da rechnet er 1200 Lire aus, zog etwas ab, aber weniger als 500 Lire, auf einem Preisschild hatte ich mir die Preise für Bier angesehen, und ich dachte, das ist doch nicht richtig, wieso,

ich ohne italienisch, er ohne deutsch oder englisch, so ging das hin & her(ich hätte ja auch blöd die Schultern zucken können und abstoffeln wie ein nix-verstehender Ausländer, zugleich war die Angelegenheit auch billig und nicht des Aufwandes wert eigentlich, doch darum ging es mir nicht, ich wollte das verstehen)

noch einmal machte er auf einem hergefischten Zettel eine Rechnung auf, nix ich verstehe, da fehlt das Flaschenpfand für die Bierflaschen, er rechnet wieder, ich gehe hinter die Theke an den anschließenden Raum und zähle ihm die Flaschen einzeln vor, zuerst die Weinflasche, dann die Bierflaschen,

er versteht das offensichtlich alles (bin ich in der Kirche?) er versteht auch, daß ich nicht abschlurfe, wie ein trotteliger Nix-Capito-Ausländer, obwohl Ausländer aus „Tedesca“, Germania, was weiß ich, er versteht überhaupt die Aktion, die ich meinerseits nicht ganz verstehe, ich verstehe nur meinen Impuls, andernfalls bringe ich nämlich die Flaschen nicht zurück, ist zu viel Mühe, (Bloß aus Gefälligkeit? So prima ist der Krämertyp auch nicht.)

ich zeige auf die ausgeworfene Summe, er zeigt auf die eingepackten Flaschen, er redet italienisch, ich rede deutsch, wir meinen die Flaschen und das Pfand dafür, also noch einmal die Rechnung auf einem Zettel,

ich zeige auf ein gelbes Pappschild mit den Preisen, die mit der Hand darauf gemalt sind, und er nickt immerzu, „si, si“ und multipliziert, während ich subtrahiere,

bis nach einiger Zeit mir klar ist, eine Flasche Bier kostet als angeschlagener Preis 190 Lire, aber darauf kommt noch Flaschenpfand, was er schon abgezogen, dann wieder draufgeschlagen hatte,

wir lächeln (ich lächele ihn aus, er lächelt mich aus)

da reißt er den großen Kühlchrank auf und holt zwei Gläser heraus, nimmt eine angebrochene Flasche und füllt sie mit einem öligen gelben-rötlichen Wein, der Wein schmeckt süß, sehr angenehm, draußen ist Regenwetter, drinnen stehen zwei Leute und haben billig gerechnet,

eine kleine Taschenlampenbirne glimmt vor einer Heiligen-Blut-Postkarte

ich habe meine Sache durchgezogen, er hat seine Sache durchgezogen,

wir prosten einander zu, ich lasse mir die Flasche Wein zeigen, es ist ein Schluck aus einer 650 Lire-Flasche (vergleichsweise kostet mein weißer Wein 250 Lire),

er erklärt mir noch einmal Preise plus Flaschenpfand,

wir trinken, das ist es, ich lächele, er lächelt, ich gehe raus. Er verkauft weiter.

Auf dem kurzen Rückweg fange ich plötzlich an, als mir noch einmal die Szene klar wird, zu lachen:

da sehe ich zwei Leute billige Rechnungen auf Schmierzetteln machen, hin und her.

„Dolce“ (:“Süß!“ erklärte der Schwarzkittel mir, als er das Glas hob.)“

Brinkmann, Rom, Blicke, 1979

2 Gedanken zu „süß, getränke“

  1. etwas voll bekommen, darauf seinen leerwert geschlagen kriegen, und es leer geworden gegen künftig zu leerendes volles tauschen, so dass dem vollen nichts leerwertiges hinzuzurechnen ist.
    ist das denn so schwer herr brinkmann?
    es ist wichtiger, die dinge genau nachzuzählen, als sie genau nachzuerzählen.

  2. 12 Alle gerieten außer sich und waren ratlos. Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? 13 Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken.

    15 Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist ja erst die dritte Stunde am Morgen.

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